
„Es gibt viel Not und wenig Zuhörer“
Verschiedenste Ereignisse im Leben führen manche Menschen an ihre Grenzen – sie wissen sich nicht mehr zu helfen und haben auch niemanden, dem sie sich anvertrauen können. In solchen Situationen kann die Telefonseelsorge hilfreich sein, die vom Diakonischen Werk Traunstein e. V. angeboten wird. Nach sieben Jahren geht nun die Leiterin der Telefonseelsorge, Johanna Scheller, in den Ruhestand. Sie habe in dieser Zeit durch ihre Arbeit auch viel für sich selber gelernt, sagt sie. Eine Wahrnehmung fiel ihr jedoch immer wieder auf: „Es gibt viel Not und wenig Zuhörer.“
Johanna Scheller ist Dipl. Religionspädagogin von Beruf und hat auch Erfahrung in der Arbeit mit Erwachsenen. Bei der Diakonie war sie in den zurückliegenden sieben Jahren für die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge zuständig. Aktuell sind dies 41 Ehrenamtliche im Alter zwischen 39 und über 80 Jahren, darunter sieben Männer. Im Schnitt kommen auf jeden und jede zwei Dienste im Monat. Da die Telefonseelsorge rund um die Uhr besetzt ist, wird der Tag in fünf Schichten eingeteilt, und es werden rund 35 Gespräche in 24 Stunden geführt – mal mehr, mal weniger. Der Bedarf ist groß und wurde durch die Corona-Pandemie noch erhöht, weiß die Leiterin. Im Verbund Oberbayern und Schwaben kommen Anrufer mit der Nummer 0800/1110111 in der Regel zunächst bei einem Ansprechpartner in der Region an. Sollten alle Leitungen belegt sein, wird automatisch in eine andere Region umgeleitet. Anrufe werden immer anonym behandelt, sowohl von Seiten des Anrufers als auch des Seelsorgers.
„Wer in einer aktuellen Krise ist, sollte auch rasch durchkommen“, lautet der Anspruch von Johanna Scheller. Eine Erhöhung der Erreichbarkeit sei daher das Ziel, denn: „Es ist schon eine große Hürde, überhaupt zum ersten Mal die Telefonseelsorge anzurufen. Wenn man dann nicht durchkommt, gibt man leicht auf.“
Die Gründe, warum die Nummer gewählt wird, sind ganz unterschiedlich: „Es spiegelt das ganze Leben, und es gibt nichts, was es nicht gibt“, weiß Johanna Scheller. Schwerpunktthema ist sicherlich Einsamkeit. Oft geht es zudem um familiäre Konflikte, gerade an Wochenenden oder in Ferienzeiten, es geht um Angst vor Krieg, Trauer, finanzielle Sorgen, Gesundheit, Alter, psychische Probleme.
Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge lernen in einem Kurs, wie sie mit all den Sorgen und Nöten umgehen, und sie lernen auch Selbstfürsorge und Abgrenzung. Für die bisherige Leiterin gilt: „Im Dienst bin ich ganz für den Anrufer da, hinterher bin ich nicht mehr verantwortlich, ich lass‘ das Problem bei ihm.“ Wo es geht, werden die Anrufer an Fachstellen vermittelt, die ihnen weiterhelfen können. Für sich selber hat Johanna Scheller durch ihre Aufgabe gelernt: „Man ist dankbar für sein eigenes Leben, fühlt sich reich beschenkt, weil es einem gut geht.“ Robert Münderlein, Fachbereichsleiter Soziale Dienste in der Diakonie, ergänzt: „Unsere Ehrenamtlichen sind Seelsorger, keine Berater. Es geht darum zuzuhören, das Gehörte auszuhalten, einfach da zu sein.“ Und ein besonderes Geschenk sei es dann, wenn der Anrufer am Ende des Gespräches erklärt, dass es ihm sehr geholfen hat.
Bis zum Jahresende wird nun Christine Bohl die Leitung der Telefonseelsorge kommissarisch übernehmen. Als Geschäftsbereichsleiterin Kirchliche Allgemeine Sozialarbeit kennt sie die Ehrenamtlichen und weiß um ihre Aufgabe. Da eine grundsätzliche Umstrukturierung der Sozialen Dienste in der Diakonie im Gange ist, wird erst für das kommende Jahr eine neue Leitung gesucht.
Eine große Frage ist immer auch die Finanzierung des Angebots Telefonseelsorge. Es ist nur möglich, weil die Telekom den Service der Verschlüsselung und Weiterleitung bereitstellt und die Seelsorger alle ehrenamtlich tätig sind. Für alle weiteren anfallenden Kosten müssen Eigenmittel der Diakonie und der Landeskirche verwendet werden. Spenden sind daher immer gerne gesehen. Johanna Scheller wünscht sich zum Abschied, „dass es mit der Telefonseelsorge gut weitergeht, die Ehrenamtlichen immer gut versorgt und betreut werden und sich neue Mitarbeiter finden“.
Pia Mix